
Eine Erzählung über Marokko, die Liebe & La Lune de Miel.
Ich bin angekommen im Paradies: Agadir, eine Hafenstadt im Süden Marokkos.
Direkt am atlantischen Ozean ist diese Stadt geprägt von portugiesischen, dänischen und französischen Einflüssen. „Agadir“ bedeutet wörtlich „Festung“, welche nach dem damaligen Erdbeben im Jahr 1960 stark verwüstet wurde und circa 15.000 Menschen das Leben nahm. Die Kasbah (arabisch: außerhalb gelegene Festung) „Agadir Oufla“ wurde 1540 vom ersten Sultan der Saadie-Dynastie in Marokko erbaut, um die Stadt vor den Portugiesen zu schützen. Am Fuße des Berges hatten sich die Portugiesen niedergelassen und erblickten vor sich die einmalige Festung:
Tanzenden Türme trugen die Außenmauer, während Moschee, Krankenhaus, Schatzkammer und Post das Innenleben verzierten. Geschlungene Gassen führten ihre Wege zu Häusern, zum jüdischen Viertel
„Mallah“ und zu Mausoleen.
Das Erdbeben in Lissabon 1755 und in Agadir 1960 hat seine Spuren hinterlassen: Viel ist nicht mehr zu
sehen vom Wahrzeichen Agadirs mit seiner historischen Altstadt.
Und trotzdem lässt es seine Geschichte erahnen und macht neugierig auf diese Stadt.
Nicht nur Touristen und Marokkaner ,mit Träumen auf ein anderes Leben, kommen hier innerlich zur
Ruhe, sondern auch frisch, verliebte Paare die „La Lune de Miel“ – ihren Honeymoon dort verbringen
möchten.
Während mein Blick das Weite sucht, vorbei an einen der 9 Paläste des Königs Mohammed dem VI.,
entlang der Dünen, erblicke ich ein marokkanisches Ehepaar. Sie sehen glücklich aus und es scheint, als
hätten sie erst gerade zueinander gefunden. „Do you want me to make a picture of you?”, frage ich nach.
Die Beiden freuen sich über meine Frage und die marokkanische Frau, mit ihrem glänzenden schwarzen
Haar und großen, dunkelbraunen Augen, gibt mir ihr Handy in die Hand. Ihre Hand ist verziert voller
roter Henna-Malereien, ein Zeichen für Fruchtbarkeit, Wohlstand und Glück.
„Did you just get married?”, frage ich aufgeregt. “Yes, it is our honeymoon here”. Sie strahlt mich an und
nimmt ihren Mann glücklich in den Arm. Ich knipse ab und blicke auf ein Foto, eine Erinnerung, die
dieses Paar für immer auch in ihrem Herzen tragen wird: Einen gemeinsamen Moment, direkt am Strand von Agadir, eingerahmt von den Dünen und Palmen, dem Geruch des Meeres, einem klaren, blauen Himmel, eingefärbt vom roten Licht der untergehenden Sonne und den trommelnden Wellen des
Ozeans.
Das Ritual des Henna wird vor der Hochzeit von einer „Nakacha“ durchgeführt. Während dieser
Zeremonie – auf traditionellem Weg nur unter Frauen – schmückt die Nakacha die Hände und Füße der
Braut mit Henna Ornamenten. Es wird laut gesungen, getanzt und viel miteinander gelacht. In der alten
Tradition trägt die Braut während der Zeremonie ein grünes Kleid. Zuvor geht die Braut normalerweise
gemeinsam mit anderen Frauen zum Hammam, einem marokkanischen Dampfbad.
Erholung und Entspannung sind dabei nur nebensächlich. Vielmehr dient es dazu, Altes loszulassen, die
Haut zu peelen, zu reinigen und vorzubereiten auf den Neuanfang:
Der Einstieg in ein anderes Leben mit dem richtigen Mann an der Seite der Braut.
Zucker und Salz lösen sanft abgestorbene Hautschüppchen vom Körper, der marokkanische Minztee
wärmt die Braut von Innen. Ein abschließendes orientalisches Schaumbad mit Honig und Milch gilt als
Schönheitselixier Marokkos. Es regt die Zellerneuerung an, spendet Feuchtigkeit und pflegt die Haut
seidig-zart.
Wahrscheinlich wird die Hochzeit deshalb auch so reichlich mit den „HDIA“ – Geschenken der Familie des Bräutigams zelebriert: Honig und Datteln, Milch, goldener Schmuck für die Frau, silberner Schmuck für den Mann und atemberaubender Kleidung. Zu traditionellen Zeiten zieht sich die Braut bis zu 8 Mal auf ihrer Hochzeit um und begeistert die Gäste und ihren Bräutigam mit ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit als Frau: Wandelbar und facettenreich in ihrer Erscheinungsform.
Doch die Tradition bringt nicht immer schöne Geschichten mit sich ins Leben. Khalil*, Zugezogener in
Agadir, erzählt mir auf französisch von den Hürden der alten Bräuche und Vorgaben:
„J’ai fait la connaissance d’une femme magnifique. – Ich habe vor ein paar Jahren eine wunderschöne
Frau kennengelernt. Wir haben uns gut verstanden, sind miteinander Café trinken gegangen und konnten tiefgründige Gespräche führen. Tu sais, Mara.. - du musst wissen, Mara, ich komme aus einer
armen Familie nähe Marrakesh. Marrakesh wurde damals die Stadt der Armen genannt, heutzutage ist
sie die Stadt der Reichen,.. Ich bin nach Agadir gezogen, um hier zu arbeiten. Ich arbeite viel, jeden Tag
biete ich Touren für Touristen an, habe einen Gemüsestand auf dem Souk und habe ein eigenes Auto
und ein kleines Haus gekauft zum Leben..Ich biete Touren an mit Pferden und Kamelen, du kannst mit
diesen während des Sonnenuntergangs am Strand ausreiten. Früher bin ich jeden Tag geritten, habe
Kamele und Pferde selber dressiert; heutzutage schaffe ich es nicht mehr selber zu reiten. Ich habe keine
Zeit mehr dafür, aufgrund meiner Arbeit.. Als ich diese Frau kennengelernt habe und wir heiraten
wollten, hat sie mich gefragt wie viel ich besitze, was ich ihr bieten kann, all das was ich habe, hat nicht
gereicht. Wenn du eine Frau in Marokko kennenlernst und heiraten willst, musst Du immer zuerst die
Eltern um Erlaubnis fragen und brauchst ihr Einverständnis. Für ihre Familie hätte mein materieller
Besitzt nicht ausgereicht,..“ Khaled wirkt traurig während er mir davon erzählt. Vor circa 15-20 Jahren, so
sagt er, waren die Regeln sogar noch härter: Die Eltern haben damals entschieden, wen ihr Sohn zur Frau nehmen soll. Es war und ist vor allem im Süden, weit ins Land reichend bis in die Sahara, teilweise auch noch üblich, diese Tradition weiterzutragen und der Familie der Braut Kamele, Schmuck und andere materielle Besitztümer zu schenken. Die alten gesellschaftlichen Bräuche wie Handel sind auch hier in Marokko noch zu finden. Als ich auf dem Souk, dem zweitgrößte nordafrikanische Markt, mit Momo* unterwegs bin, höre ich ihm zu, während er auf Berber verhandelt. „Du musst als Tourist immer die Hälfte runterhandeln“, sagt er zu mir augenzwinkernd. Ich fühle mich wohl hier in Marokko. Die Menschen hier sind sehr gastfreundlich, Familie ist ihnen wichtig. Momo* hat für sich und seine Mama eine Wohnung gekauft. Immer wenn er frei hat – einmal in der Woche - nimmt er sich Zeit für sie und geht mit ihr zur Marina, dem Hafen in Marokko, um Kaffe zu trinken. „ I cried twice in my life“, vertraut er mir an: „Als meine Mama dieses Jahr sterbenskrank war und vor einem Jahr, als sich meine Freundin von mir getrennt hat.“ Es zeigt mir wie sehr er beide Menschen liebt und in sein Herz geschlossen hat. „What means love to you? “, fragt mich Siad. Wir sitzen nebeneinander am Strand in Hängestühlen und blicken im Himmel den Möwen entgegen, die in gemeinsamer Perfektion durch die Lüfte gleiten.
Gute Frage, denke ich mir. Was bedeutet Liebe? „Liebe ist für mich grenzenlos“, sage ich. „Love is
happiness “, sagt Said. Said bedeutet „Glück“auf Arabisch. Wie passend, finde ich.
“Es war Liebe auf den ersten Blick“, vertraut mir Mustafa* an, während wir nebeneinander sitzen und in
den Sternenhimmel schauen. „Ich wusste vom ersten Moment an, dass das die Frau ist, die ich heiraten
möchte und habe ihr das sofort gesagt. Seit zwei Jahren kennen wir uns nun und telefonieren jeden Tag.
Ich habe eine Wohnung gekauft und wir entscheiden zusammen wie wir diese einrichten wollen. Mir ist
es wichtig, dass wir beide gleichberechtigt sind. Wir wollen keine große Hochzeit, das kostet viel Geld.
Das ist uns nicht wichtig. Wir wollen zum Standesamt, heiraten und dann unsere Familien in unsere,
gemeinsame Wohnung einladen. Gemeinsam essen, lachen und Tee trinken.“
Bei traditionellen Hochzeiten werden Braut und Bräutigam auf einer Sänfte von 4 Menschen hochgehoben und durch den Raum getragen. Es wird gesungen, getanzt und es werden viele Geschenke
gemacht. Meistens hat das Paar danach unzählig viel Besteck und Gläser. „Ich brauch doch keine 100
Gläser“, lacht Mustafa*. „Dann lieber eine Liste machen mit Dingen, die wir wirklich brauchen und den
Hochzeitsgästen vorher mitteilen.“ Wir müssen beide lachen. Mustafa* erzählt mit weiter, dass seine
Freundin Physik studiert. Er findet es gut, wenn sie beide arbeiten. Nur eines möchte er nicht: Dass seine
Freundin einen Job annehmen muss, bei dem sie nachts arbeiten muss. „Dann können wir uns gar nicht
mehr sehen, haben andere Arbeitszeiten und einen anderen Rhythmus. Die gemeinsame Zeit miteinander ist wichtiger als das Geld.“ Er ist vernünftig und bescheiden, das imponiert mir.
Am nächsten Tag treffe ich Badr*beim Sport. Er wirkt etwas verloren beim Training und weiß nicht so
Recht, was er trainieren soll. „Darf ich dich was fragen?“, entgegnet er mir höflich. Ich schaue ihn
interessiert an: „Wie kannst Du dich zum Sport motivieren?“. Ich denke kurz darüber nach,..es ist eine
Frage, die mir so noch nie jemand gestellt hat. „Ich liebe das Gefühl mich zu bewegen, es fühlt sich gut
an. Ich liebe es mich mit Musik beim Sport auszudrücken, mit meinen Gefühlen. Ich liebe es gemeinsam
mit anderen Menschen Sport zu machen. Es ist ein schönes Gefühl.“ Das ist wohl ähnlich wie die Liebe zu einem Menschen, denke ich mit. „Kennst du das Gefühl, wenn du Abends mit Freunden feiern gehst,
gemeinsam singst und tanzt?“, frage ich Badr*. „Ja, klar“, antwortet er. „Das ist das Gleiche für mich,
wenn ich Sport mache“. Er nickt und versteht. „Du bist aus Deutschland, oder?“ „Richtig“. „Ich habe
Freunde in München“, vertraut er mir an. Wir wollten vor ein paar Jahren gemeinsam das Land verlassen
,auf illegalem Weg. Mit einem Schleuser wollte ich endlich nach Europa und ein anderes Leben
beginnen. Aber ich wurde leider erwischt und musste zurück nach Marokko. Wenn du in anderes Land
möchtest, brauchst du ein Visum, finanzielle Rücklagen und wird selten genehmigt.“
Daher ist es für viele Marrokaner fast unmöglich mit dem marokkanischen Gehalt genug Geld
anzusparen und auszureisen. Momo* liebt es zu reisen und möchte sich diesen Traum irgendwann
erfüllen. Er schwärmt mir vor von seiner letzten Reise nach Tangier, der blauen Stadt Chefchaouen, die er mit Freunden besichtigt hat, und der Herkulesgrotte, 15km entfernt von Tangier. Er arbeitet jeden Tag
und lernt nach der Arbeit für seine Ausbildung im Tourismusbereich. Trotz der Hindernisse im eigenen
Land, wirkt er zuversichtlich und bestimmt. „Wie schaffst du es während der Arbeit auch noch zu lernen“, frage ich ihn? „Ich gehe gerne zum Sonnenuntergang im Meer baden, das gibt mir Kraft und Energie.“
Am nächsten Tag ziehe ich ihm gleich und stelle mir den Wecker um 08.00 Uhr morgens. Ich ziehe meine Laufschuhe an und laufe zum Sonnenaufgang am Meer entlang. Es ist ein Gefühl von Verbundenheit, dass in mir aufsteigt, während ich die Schaumkronen der Wellen den Strand begrüßend, beobachte. Die Farben des Himmels spiegeln sich darin wieder: purpurne und rosa pastellfarbene Töne vereinigen alles miteinander.
„What means love to you“, höre ich Saids Stimme in meinem Ohr.
“Liebe ist für mich Stille”,
denke ich mir während ich die goldene Farbe der Sonne am Himmel aufblitzen
sehe. Eine Gruppe marokkanischer Männer, eingekleidet in Badehosen und Bodyboards, kreuzt meinen Weg. Sie laufen gemeinsam Richtung Meer. Sie wirken wie ein eingespieltes Team und sehen friedlich aus, während sie ihren Gang zum Meer fortsetzen.
„Liebe ist für mich Friede“,
denke ich und streife mit meinem Blick den arabischen Schriftzug auf dem
Abhang der Kasbah: ‚Gott, König, Vaterland‘. Er wird von der aufgehenden Sonne in goldenes Licht getaucht. Die Fenster in den Häusern dar Marine reflektieren die Sonnenstrahlen zurück in die unendliche Weite des Himmels.
Liebe ist grenzenlos. Ohne Anfang und Ende.
Ich laufe weiter und fühle mich frei, losgelöst von allem.
Liebe bedeutet für mich Freiheit.
Ich muss zurückdenken an Badr*, der nicht frei entscheiden kann.
Nicht frei entscheiden kann, wohin er reisen möchte, nicht frei entscheiden kann in ein anderes Land zu
ziehen. Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper. Mein Hals ist wie zugeschnürt. Am Liebsten würde ich
laut schreien, habe das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.
Ich fühle einen Stich im Herzen. „Herzschmerz“ nennen wir Deutsche das.
Liebe ist für mich Schmerz.
Ich lasse meinen Blick über das Wasser gleiten. Es beruhigt mich. Ich bekomme wieder Luft.
Im Inneren weiß ich, dass alles gut gehen wird für Badr*. Er hat schon einen Plan und lernt fleißig für
seine Ausbildung im Tourismus. Er will einen Vertrag im Hotel im Ausland bekommen, um auch in
anderen Ländern arbeiten zu können. Die gleiche Hoffnung, die wir miteinander teilen.
Liebe ist für uns Hoffnung.
Badr* hat Träume. Er hat klare Ziele. Er hat Hoffnung – genauso wie ich. Und doch können wir nichts
davon im Leben festhalten.
Weder die Menschen, die man liebt, wie Momo* seine Mutter und seine letzte Freundin.
Weder allen Besitz, den man hat, wie Khaled sein Auto und Haus, oder den teuersten Schmuck, Kamele
oder Geld, der auf marokkanischen Hochzeiten verschenkt wird. Noch den Zustand von Glück, Hoffnung oder der Liebe, den wir in unserem Herzen mit uns tragen.
Aber wir können darauf vertrauen, dass Liebe omnipräsent ist. Genauso omnipräsent wie der Ozean.
Liebe, die uns genauso beruhigt wie den Blick entlang des Ozean gleiten zu lassen. Liebe, die immer da
ist, selbst wenn wir sie aus den Augen verlieren. Während die Wellen des Meeres ähnlich wie Gefühle
kommen und gehen & sich manchmal zu kleinen oder großen Wellen auftürmen können, vergeht Liebe
niemals. Genauso wie der Ozean ist sie immer da, auch außerhalb unseres Sichtfeldes. Selbst wenn wir
sie mit bloßem Auge nicht sehen können, ist sie immer da, solange wir unsere Herzen dafür offen halten.
Also vergiss niemals: Die Liebe ist überall und erscheint uns in jeglicher Form. Sie begegnet uns in
Menschen, in der Natur, in unseren Gedanken, in Worten, in unserem Herzen. Halte deine Augen offen
und du wirst dich in ihr verlieren, genauso wie im Ozean.
Denn Liebe ist grenzenlos. Und so sind es wir.
*Namen wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen verändert
Kommentar schreiben